Krise? ...Ohne uns!

© Continental
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Miba bildet Lehrlinge zu hochqualifizierten Facharbeitern in Zukunftsberufen aus. © Miba
Miba bildet Lehrlinge zu hochqualifizierten Facharbeitern in Zukunftsberufen aus. © Miba
Pollmann produziert Komponenten für die Elektromobilität. © Pollmann International
Pollmann produziert Komponenten für die Elektromobilität. © Pollmann International
Neue Montagehalle für Mäher bei Pöttinger © PÖTTINGER Landtechnik GmbH
Neue Montagehalle für Mäher bei Pöttinger © PÖTTINGER Landtechnik GmbH
Herbert Auer © Pollmann International
Herbert Auer © Pollmann International
Werner Köstler © Continental
Werner Köstler © Continental
Markus Baldinger © PÖTTINGER Landtechnik GmbH
Markus Baldinger © PÖTTINGER Landtechnik GmbH

09.06.2022

Nach einer Umfrage unter AC-Partnern, wie sie vom neuen Mangel betroffen sind und darauf reagieren, entstand fast der Eindruck: Die Krise ist abgesagt. Erst beim genaueren Hinschauen ist zu erkennen, dass alle in irgendeiner Form leiden und reagieren. Flexibel, agil, kurzfristig und kreativ sind die neuen Schlagwörter. Diversifizierung ist ebenfalls ein beliebtes Rezept.

An allem herrscht derzeit Mangel: Von Fachkräften über Rohstoffe wie Magnesium bis zu Halbleitern/Chips, Kabelbäumen etc. Dazu kommen die steigenden Preise für Energie und Stahl sowie der Krieg in der Ukraine. Und die Nachwehen der Pandemie wirken sich immer noch auf die Lieferketten und die Nachfrage sowie Produktionskapazitäten aus. Wie gehen unsere Autozulieferer mit diesem neuen Mangel um? Sie machen das Beste draus!
 

Viel Positives

Aus dem Headquarter des Robotik-Spezialisten KUKA in Augsburg heißt es beispielsweise: „Natürlich spürt KUKA wie andere Unternehmen auch den Chipmangel sowie Lieferschwierigkeiten bei Vorprodukten. Dennoch kann KUKA die Lage derzeit noch gut managen, auch dank langfristiger Planung, Flexibilität und frühzeitiger Vorsorge. Daher kann KUKA nach wie vor produzieren und Kundenaufträge bedienen.“ Ein Sprecher der Miba AG meinte: „Wir haben doch so viel Positives zu berichten!“
 

Breit aufgestellt in die Zukunft

Und das stimmt ja auch. Laut Bilanzbericht über das abgelaufene Geschäftsjahr 2021/22 ist der Technologiekonzern aus Laakirchen mit neun Prozent Wachstum und einem Umsatz von 971 (2020/21: 891) Millionen Euro wieder zurück auf Vorkrisenniveau. Das liegt wohl daran, dass man sich bei Miba schon früh auf die Mobilität der Zukunft ein- und auch breit aufgestellt hat. Denn bereits elf Prozent des Umsatzes werden mit Produkten für Energiegewinnung und -übertragung gemacht. Besonders hoch war die Nachfrage nach Komponenten für energieeffiziente, sparsame Antriebe für Windräder.


Von der Elektrifizierung profitiert

Bei den Lieferungen an die Autokonzerne geht es vor allem um Sinterteile. Weil die Produktionen in den europäischen Autowerken aber immer wieder stehen, ist auch die Sintersparte in Kurzarbeit. Das zweite große Wachstumsfeld ist die Elektromobilität. „Wir sind sehr breit aufgestellt und entlang der gesamten Energie-Wertschöpfungskette präsent“, sagt Vorstandsvorsitzender F. Peter Mitterbauer. „Wir profitieren auch von der zunehmenden Elektrifizierung in Spezialbranchen wie bei Kommunal- und Nutzfahrzeugen, Booten und Staplern.“
 

Halbleitermangel dauert noch an

Auch bei Continental spürt man die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronapandemie und die extreme Marktvolatilität. AC-Beirat und Senior Vice President Werner Köstler erklärt: „Nach dem Lockdown im Frühjahr 2020 und dem daraus resultierenden plötzlichen Nachfragerückgang erhöhten die Automobilhersteller in allen Regionen ihre Produktionsmengen viel schneller als von Marktexperten erwartet. Diese Entwicklung führte zu Engpässen in der Lieferkette, vor allem bei Halbleitern. Aufgrund der üblichen Vorlaufzeiten konnten Halbleiterhersteller nicht schnell genug reagieren. Die Lieferengpässe halten immer noch an und wir rechnen nicht mit einer großen Kapazitätssteigerung vor 2023. Dies wird leider zu anhaltenden Störungen in der Produktion führen.“
 

Alternative Beschaffungsquellen

Unter strenger Aufsicht des Vorstands wurden bei Continental interne Krisenstäbe – Task Forces – eingerichtet, um die Situation genau zu verfolgen und schnell auf Probleme reagieren zu können. „Unsere Ingenieurteams arbeiten an technischen Alternativen, um die Knappheit von Halbleiter-Chipsätzen bei Technologien für Fahrersicherheit, Fahrzeugvernetzung, Fahrzeugintelligenz etc. zu minimieren“, sagt Köstler. Es wird nach Lösungen gesucht, u. a. auch nach alternativen Beschaffungsquellen. Zudem werden alternative Materialien, Wafer, verschiedene Chip-Lieferanten und -Varianten in Betracht gezogen.
 

Digitalisierung macht flexibel

Auch den Mangel an Rohstoffen wie Stahl, Kunststoff, Aluminium und Kupfer sowie die gestiegenen Preise spürt der Autozulieferer. Das führt zu deutlich längeren Lieferzeiten. „Wir tun alles, um die Lieferung ununterbrochen fortzusetzen“, betont Köstler. Dazu zählt beispielsweise das neue „Strategische Projekt-Halbleitermanagement“. Ziel ist, auch in Zukunft eine wettbewerbsfähige Halbleiterversorgung zu sichern. Unter anderem wird der Komponentenbedarf für 24 Monate in einer rollierenden Prognose und fünf Jahre für strategische Komponenten geplant. Mittels einer hochdigitalisierten Werkzeugkette kann der Planungsprozess angepasst werden.
 

Angst um Energieversorgung

Der Krieg zwischen Russland und Ukraine wird die Lieferketten in Europa unterbrechen und zu einem zusätzlichen Rohstoffmangel führen, fürchtet Köstler: „Dies gilt insbesondere für Stahl, Nichteisenmetalle bzw. Mineralien wie Aluminium, Nickel, Kupfer, Vanadium und Titan, Edelmetalle wie Palladium sowie Energie einschließlich Erdgas und Erdöl.“ Aus der Ukraine kommen hauptsächlich Stahlhalbzeuge, Neon und Titan. Neon ist ein wichtiger Rohstoff bei der Halbleiterproduktion. „Importe und Exporte unserer Produkte nach und aus Russland haben wir konzernweit ausgesetzt“, betont der Continental-Vizepräsident. Der Anteil des Geschäfts in Russland und der Ukraine am Gesamtumsatz von Continental beträgt „zum Glück“ weniger als ein Prozent. Mit Sorge betrachtet Köstler allerdings die möglichen Auswirkungen des Kriegs auf die Energieversorgung.
 

Lange Lieferzeiten als Folge

Bei Pöttinger Landtechnik ist die Produktion unmittelbar vom neuen Mangel betroffen. Markus Baldinger, Geschäftsführer für Forschung, Entwicklung und Digitalisierung sowie ebenfalls AC-Beirat, erklärt die Lage: „Der Vertrieb und in weiterer Folge unsere Endabnehmer sind mit langen Lieferzeiten und hohen Kosten konfrontiert; aber auch der Entwicklungsprozess ist mittlerweile von intensiven Störungen betroffen: Terminpläne können nicht gehalten werden, da auch im Prototypenbau Teile fehlen. Darüber hinaus machen Störungen aufgrund von Änderungen bei Materialien oder Toleranzen dem Kollegium in der Technik zu schaffen.“


Kreative Lösungen

Baldinger lobt aber seine Belegschaft, die immer kreative Lösungen findet, um Engpässe abzufedern: „Das reicht von neuen Lieferkanälen über alternative technische Lösungen bis hin zu Leihmaschinen für unsere Kunden. Besonders die Beschaffung hat unter solchen Umständen eine besondere Bedeutung. Nicht nur durch die derzeitigen Umstände, sondern unabhängig davon, haben wir der Digitalisierung einen höheren Stellenwert eingeräumt.“ Mit einer Erholung, insbesondere beim Halbleitermangel, rechnet Baldinger nicht vor Mitte 2023.
 

Abhängig von den Autobauern

Mit rund 1.700 Mitarbeitern beliefert Pollmann International von Karlstein aus nahezu die gesamte Automobilindustrie mit komplexen mechatronischen Systemen. CEO Herbert Auer stand dem Automobil-Cluster in einem ausführlichen Podcast-Interview Rede und Antwort (siehe Infobox): „Es werden derzeit weniger Fahrzeuge gebaut. Daraus resultierend werden natürlich auch weniger Türschlosskomponenten oder Schiebedachmechaniken von Pollmann benötigt. Das heißt: Auch wenn wir grundsätzlich eine volle Versorgung sicherstellen könnten, werden aktuell je nach Projekt oder Endfahrzeug zwischen 15 und 30 Prozent weniger Fahrzeuge oder weniger Bauteile von uns benötigt.“
 

Verzerrtes öffentliches Bild

Was auch den AC-Beirat seit Wochen wundert, sind Rekordergebnismeldungen von OEMs und Fahrzeugherstellern: „Das macht auf mich den Eindruck, dass es eigentlich der Branche sehr gut gehen sollte. Das ist aber ein Irrglaube. Wie es üblich ist in der Branche tragen nämlich die Zulieferer das Risiko und davon sind wir derzeit massiv betroffen.“ Auer bringt auch den Lockdown im Großraum Shanghai ins Spiel: „Das ist ein Gebiet von 50 bis 100 Millionen Einwohnern mit sehr vielen gesperrten Betrieben in der Automotive-Zulieferindustrie. Auch unser Betrieb ist behördlich gesperrt. Über kurz oder lang wird das Auswirkungen weltweit haben. Also in Summe ist es im Moment eine sehr fordernde Zeit.“
 

Diversifizierung als Lösung

Neben den aktuellen Konfliktherden muss Pollmann natürlich auch die Preissteigerungen bei Material, Transportkosten und Energie bewältigen. Die höheren Kosten werden teilweise an die Kunden weitergegeben. Gleichzeitig wurde die Produktion flexibilisiert. „Wir wollen uns in Zukunft aber auch breiter aufstellen und neben dem Automotivebereich neue Geschäftsbereiche erschließen“, betont Auer. Ein erster Schritt wurde zu Jahresbeginn mit der Übernahme der MAXXOM Automation GmbH aus Oberhofen am Irrsee gesetzt. Damit kann Pollmann in den Geschäftsfeldern Automatisierungstechnik, Sondermaschinenbau, Spritzgussautomatisierung bis hin zu Hochleistungsmontagelösungen weiter wachsen.


Schwierige Prognosen

„Gerade in solchen unstabilen Zeiten ist es wichtig, sich breiter aufzustellen und nicht nur von einem Markt abhängig zu sein. Nur mit einer entsprechenden Diversifizierungsstrategie kann man dann auch das Gesamtrisiko reduzieren“, ist der Pollmann-CEO überzeugt. Wie wird es aus seiner Sicht weitergehen? „Die berühmte Glaskugel hätte ich mir in den vergangenen zwei Jahren sehr oft gewünscht. Wer hätte mit einer Schiffsblockade im Suezkanal, der Chipkrise oder einem plötzlichen Krieg in Europa gerechnet? Bei uns gilt derzeit das Credo ‚Fahren auf Sicht‘, um dynamisch zu planen“, analysiert Herbert Auer. Und bleibt optimistisch: „Pollmann gibt es jetzt seit mehr als 130 Jahren und wir haben schon viel größere Krisen überstanden. Ich bin sicher, dass wir auch diese Krise gut überstehen werden und daraus gestärkt hervorgehen.“

 


 

Talking Heads – Manager vor dem Mikrofon

Herbert Auer, CEO der Pollmann International GmbH, verrät im Podcast mit Cluster-Manager Florian Danmayr, wie Unternehmen dem zunehmenden Druck standhalten und entgegenwirken können.

www.pollmann.at


Werner Köstler

Der Experte für Software-Architektur ist Senior Vice President der Continental Automotive GmbH und Beirat im Automobil-Cluster. Continental entwickelt Mobilitätslösungen der Zukunft durch Innovationen und intelligente Technologien für eine sichere vernetzte, komfortable Mobilität der Menschen, den Transport ihrer Materialien und Stoffe sowie die Übertragung ihrer Daten. Die Continental Automotive GmbH konzentriert sich dabei auf Safety and Motion, Autonomous Mobility, User Experience, Smart Mobility, Software and Systems Excellence sowie Architecture and Networking.

www.continental-automotive.com


Markus Baldinger

Der Dr. der Robotik und Mechatronik-Diplomingenieur ist seit 2016 CTO der Pöttinger Landtechnik GmbH und Geschäftsführer für Forschung, Entwicklung und Digitalisierung. Neben seiner Tätigkeit als Beirat im Automobil-Cluster sitzt er u. a. auch im Aufsichtsrat des Linzer Center of Mechatronics und des TIZ Grieskirchen. Außerdem ist Baldinger Vorsitzender des VDMA Österreich. Pöttinger ist ein Familienbetrieb, der 1871 aus einem kleinen Handwerksbetrieb gegründet wurde. Das Unternehmen ist Spezialist für Grünlandbewirtschaftung und Ackerbau. Im Sortiment sind u. a. Mähwerke, Ladewagen, Rundballenpressen, Pflüge, Sämaschinen und Digitale Landtechnik.

www.poettinger.at