Innen und außen vernetzt

Die neue Zusammenarbeit in der Fahrzeugproduktion

Mercedes-Benz steht auf der modernsten Fabrik mit 5G-Vernetzung. © Daimler
Mercedes-Benz steht auf der modernsten Fabrik mit 5G-Vernetzung. © Daimler
Premium-Qualität dank Digitalisierung und innovativer Inline-Multimesszelle im Dingolfinger BMW-Werk © BMW
Premium-Qualität dank Digitalisierung und innovativer Inline-Multimesszelle im Dingolfinger BMW-Werk © BMW
Mit Hightech in die Zukunft: Volkswagen setzt auf Virtual Reality. © Volkswagen
Mit Hightech in die Zukunft: Volkswagen setzt auf Virtual Reality. © Volkswagen

20.03.2020

Architekten und Anlagenbauer übertreffen sich bei der Gestaltung neuer Autofabriken seit einigen Jahren selbst. Wie Raumstationen aus Science-Fiction-Serien stehen die neuen Gebilde in den Wüsten Amerikas und an den Rändern europäischer und asiatischer Städte. Wer dort arbeitet, macht vieles anders als bisher. Wer dort arbeitet, ist Mittelpunkt einer neuen, digitalen Dimension der Zusammenarbeit.

Fertigungsstraßen brauchen heute mehr als geschickte Arbeitskräfte. Viele innovative Verfahren, die bisher vereinzelt im Einsatz waren, finden in den futuristischen Fabriken von Daimler, Audi, Tesla und Co. zu konzertierten und präzisen Abläufen mit fast symphonischem Gleichklang zueinander – im Mittelpunkt immer noch der Mensch.

 

Daimler Factory 56

Den Platz von etwa 30 Fußballfeldern nimmt Daimlers neues Produktionshaus, das auf Flexibilität, digitalen Fortschritt und eine grüne Gedankenwelt setzt, in Sindelfingen ein. Dazu gehören z.B. durch digitale Planung optimierte Prozesse, die Optimierung von Montageprozessen durch Reduktion nicht wertschöpfender Tätigkeiten sowie eine verbesserte Logistik. Menschliches Versagen oder Ungenauigkeiten nahezu ausgeschlossen. Die Produktionslinien sind auf die Erzeugung großer Stückzahlen und vieler verschiedener Fahrzeugmodelle sowie auf rasche Modelländerungen ausgerichtet. Am hinteren Ende von Factory 56 rollen dann E-Autos und autonome Fahrzeuge ebenso hinaus wie klassische Benzin- und Dieselfahrzeuge. Weiterer Vorteil der Fabrik: Sie lässt sich problemlos klonen. Das geschieht gerade im ungarischen Kecskemét mit dem Bau des ersten Daimler „Full-Flex Werks“, in das Daimler eine Milliarde Euro investiert. Es umfasst Mensch-Maschinen-Kooperationen ebenso wie digital unterstützte Prozesse in der Arbeitsorganisation, Logistik und Qualitätssicherung.

 

Neue Zusammenarbeit für 5G

In Zusammenarbeit mit Telefónica Deutschland und Ericsson entsteht in der Factory 56 das weltweit erste 5G-Mobilfunknetz für die Automobilproduktion. Die Kooperationspartner statten das Werk mit mehreren 5G Small Cell Indoor-Antennen sowie einem zentralen 5G-Hub aus, wodurch alle Maschinen und die Logistik miteinander vernetzt werden können. Die Produktionshalle wird flächendeckend vernetzt, Technologien wie Smart Devices, Big-Data-Algorithmen und Künstliche Intelligenz halten das Werk auf höchstem Niveau am Laufen. Der Erfinder des Automobils macht durch die Installation eines lokalen 5G-Netzes die Fabriken von Mercedes-Benz Cars künftig noch intelligenter und damit effizienter.

 

VW vernetzt die Werke 

Im Inneren der Werke sind es die Maschinen und Logistikabläufe, die vernetzt werden. VW will die digitalen Schablonen über alle seine Werke legen und die Werke der Konzernmarken – von den vier Ringen bis zum Pferd – miteinander vernetzen. Virtual Reality (VR) und andere digitale Technologien sollen dabei die Zusammenarbeit erleichtern. Getestet wird bereits im VW-Tagungszentrum in Braunschweig, wo Mitarbeiter sich gegenseitig in einer auf dem Monitor abgebildeten Fabrikshalle besuchen und austauschen.

Hinaus aus der einen Halle und hinein in einen anderen internationalen Standort – das ist die Vision, die durch die Vernetzung weltweit umgesetzt werden soll. Im Bereich Design nützt VW die VR-Technologien bereits seit Jahren und spart dadurch jährlich Kosten in zweistelliger Millionenhöhe. Investiert wurde in High-End-Präsentationsanlagen mit bis zu 18 m breiten LED-Screens, auf denen Modelle virtuell dargestellt werden können. Virtuelle Werkstätten dienen unter anderem dazu, dass am Projekt Beteiligte gleichzeitig betrachten, gestalten und modifizieren können. Auf diese Weise werden Diversität und Ideenwettbewerb weltweit beflügelt und zugleich synchronisiert.

 

Messraum der Zukunft im BMW-Werk

Vollautomatisiert verbindet die Inline-Multimesszelle im Dingolfinger BMW-Werk auf engstem Raum innovative Messtechnologien zur geometrischen Beurteilung der Karosserie. Novum ist, dass nicht mehr Stichprobenkontrollen einzelner Fahrzeuge nötig sind, die in einen eigenen Messraum gebracht werden, sondern dass die Multimesszelle mithilfe digitaler Messtechnologien nun voll in den Produktionsablauf integriert ist. So können alle Fahrzeuge jederzeit kontrolliert werden. Dauer einer vollautomatisierten Komplettmessung: 30 Minuten. Ein in dieser Zeit erstelltes virtuelles Modell liefert in Sekundenschnelle ein komplettes Bild des geometrischen Stands der Karosserie. Zahlreiche Roboter – jeder von ihnen erfasst 210.000 Messpunkte pro Sekunde – erheben zehn Gigabyte Daten pro Karosserie. Und hier kommt der Mitarbeiter Mensch ins Spiel: Anhand der gelieferten Echtzeit-Messergebnisse kann der Mitarbeiter ohne Zeitverzug zielgerichtet Maßnahmen einleiten, um die Qualität der Karosserie weiter zu optimieren und höchsten Sicherheitsstandard sicherzustellen.

 

Tinder für die Fahrzeugproduktion?

Auch außerhalb der Produktionsstätten ändert sich die Zusammenarbeit und die Konstellationen von Partnerschaften in der Fahrzeugproduktion nehmen immer spannendere Formen an. So finden ehemalige Konkurrenten ebenso zueinander wie Marken-Giganten und kleine Start-ups. Tinder (dt. Zunder) oder auch Initialzündung für die weltweite Partnersuche sind natürlich die Digitalisierung der Mobilität und das Autonome Fahren. Steigende technische Komplexität sowie Serviceleistungen, die weit über die Erzeugung von Autos hinausgehen, fordern Kooperationen mit anderen Herstellern oder neuen Know-how-Lieferanten.

 

Wer mit wem und wozu?

Bei den Liaisonen ist es anscheinend nicht anstößig, wenn jeder mit jedem im Bettchen liegt. So gibt es gemeinsame Plattformen- und Motorenentwicklung mit den einen und Zusammenarbeit bei Mobilitätsdiensten, Softwareentwicklung oder Batterietechnologien mit den anderen. Smart und Twingo z.B. stehen auf gleicher Plattform, so, wie auch BMWs neuer Z4 und Toyotas Supra. Toyota und Suzuki entwickeln gemeinsam eine neue Motoren- und Hybridtechnik, Mazda und Subaru sind ebenfalls an Kooperationen mit Toyota beteiligt. Audi schmiegt sich an die Allianz von BMW und Daimler, die Seite an Seite skalierbare Plattformen für autonome Fahrzeuge der Levels 3 und 4 entwickeln. Technologielieferanten wie Bosch und Continental sowie andere Hersteller sind eingeladen, sich anzuschließen. Grundsatz der Zusammenarbeit ist, dass die gemeinsam entwickelten Komponenten den Charakter der Marken nicht beeinträchtigen.

 

Gemeinsam statt einsam

„Gemeinsam statt einsam“ scheint auch die Devise für VW und Ford zu sein, die ab 2022 gemeinsam Transportfahrzeuge und Pick-ups produzieren wollen. Auch über mögliche Gemeinsamkeiten in der Elektromobilität, bei Autonomem Fahren und Mobilitätsdiensten denken die beiden Giganten der Autoindustrie nach. Der Schauplatz des akkordierten Schaffens könnte die Ford-Fabrik in der Türkei sein, in der Ford-Pick-ups und VW-Stadttransporter entstehen sollen.

 

Internet Of Things – die neuen Player übernehmen 

Ohne Google, Amazon und Microsoft fährt heute gar nichts mehr. Die Modelle der Zukunft, aber auch schon viele der Gegenwart, brauchen die Unterstützung digitaler Giganten sowie die Kreativkraft kleiner Start-ups und Softwareentwickler. Eine Reise nach Las Vegas zeigt, wie sehr Automotive- und IT-Branche bereits verflochten sind.


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